... Fortsetzung Folge 2 - Dutschke und Konsorten

Vietnamkongress
Vietnam-Kongreß in Berlin, Februar 68. Der Vietnamkrieg war der Treibstoff der Revolte. Er kam in alle Wohnzimmer, weil die Amerikaner, anders als heute, Journalisten überallhin mitnahmen.
Während in Berlin der Kongreß tagte, lief in Vietnam die Tet-Offensive. Und ich sah, als Junge, mit 10, im Fernsehen diese Szene und wußte fortan, daß man nicht stirbt wie bei Bonanza, wenn man erschossen wird, sondern daß zum Beispiel eine Blutfontäne aus der Schläfe springt.

Das Bild verfolgte mich durch lange Nächte, und der Krieg hatte einen kleinen Gegner mehr.

Vietnam
Im Februar 66 bereits hatte es in Berlin eine große Studentendemo gegen den Vietnamkrieg gegeben. Als dabei das Sternenbanner vor dem Amerika-Haus vom Mast geholt wurde, war ganz Berlin entsetzt. Wie kann man nur Amerika, dem wir alles verdanken, so beleidigen!
Gegendemonstration vor dem Amerika-Haus.
Innensenator Albertz muß das angeblich zu lasche Vorgehen der Polizei verteidigen, der Regierende Bürgermeister Brandt die Gemüter beruhigen.

Vietnamdemo

Heinrich Albertz (Innensenator): "Gemeinsam mit dem Hausmeister des Amerikahauses konnten die Polizeikräfte das Entfernen der Flagge verhindern..."

Willy Brandt: "Ich habe mich gefragt, ob es nicht im Ganzen gesehen möglich wäre, unliebsame Vorgänge etwas gelassener zu betrachten."

Studentenvertreter, verantwortlich für die Demonstration, distanzieren sich von den Ausschreitungen. Man hing noch sehr am Frieden und am zivilen Umgang miteinander.

"Einige extremistische und anarchistische Mitglieder von SDS und Argument-Club sowie Unabhängige inszenierten nach Beendigung der Demonstration, die zur Zufriedenheit der Polizei verlaufen war, einen beschämenden Krawall vor dem Amerikahaus."

Nach dem 2. Juni 67 ging es nicht mehr so moderat zu. Die Schläge der Jubelperser, der tote Student hatten aus Zweifeln an der Gesellschaft schnell Überzeugungen werden lassen. Man war jetzt bereit zu kalter Analyse. Der Staat war falsch. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Heute, 11.7.67, 19.00 Uhr, im Audimax der Freien Universität Berlin: Vortrag von Herbert Marcuse über Gewalt und die Opposition.

Da gehen wir jetzt hin.

Vortragsankündigung

Marcuse war wie Adorno ein Vertreter der Frankfurter Schule, jedoch mehr der praktischen Politik zugewandt und ganz auf der Seite Dutschkes und überhaupt der radikalsten Studenten.


Herbert Marcuse
Herbert Marcuse
"So deckt, glaube ich, der Begriff der Gewalt zwei sehr differente Formen. Die institutionalisierte Gewalt des Bestehenden und die Gewalt des Widerstandes, die notwendig dem positiven Recht gegenüber illegal bleibt. Von einer Legalität des Widerstandes zu sprechen ist Unsinn. Kein Gesellschaftssystem, selbst das freieste nicht, kann verfassungsmäßig oder in anderer Weise eine gegen das System gerichtete Gewalt legalisieren."

Hier bezeichnet Marcuse den gewissen kleinen Unterschied: Reform innerhalb eines reformbereiten Systems? Undenkbar. Das System will sich ja nicht reformieren lassen. Es verbietet jeden Widerspruch und bekämpft ihn mit institutioneller Gewalt. Widerstand dagegen ist legitim, muß notwendig Gewalt anwenden und kann nicht legal sein.

Marcuse wird später alle Hände voll zu tun haben, um glauben zu machen, er habe damit nicht den Terroristen den Weg gewiesen.

Das System wehrt sich. Jean Paul Sartre stellte klar, daß man den Vietnamkrieg nicht als Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West zu sehen hatte, sondern als Teil der globalen Unterdrückungsstrategie der USA.

"Das ist keine Auseinandersetzung der Großmächte. China hat wenig Waffen und kann dem Norden nur wenig davon schenken. Die Nordvietnamesen haben keine chinesischen Waffen. Sie haben sowjetische. Aber längst nicht so viele, daß man von einer Auseinandersetzung der Großmächte sprechen könnte. Wenn das so wäre, dann müssten die Russen den gleichen Bombenteppich über Südvietnam legen, wie die Amerikaner im Norden."

"Was den Imperialismus betrifft. General Westmoreland sagt: 'Wir führen Krieg, um zu beweisen, daß sich ein Guerilla-Krieg nicht lohnt'. Das ist ein toller Satz. Er besagt: Wenn es in einem fremden und armen Land zu einem Volksaufstand kommt, dann maßen wir Amerikaner uns das Recht an zu intervenieren, kämpfen ihn nieder und beweisen so, daß sich ein Guerilla-Krieg nicht lohnt. Mit anderen Worten, Lateinamerika soll stillhalten. Viele Amerikaner ahnen gar nicht, daß für ihren American Way of Life andere Völker bezahlen müssen."
Jean-Paul Sartre
Jean-Paul Sartre

Dies war nicht der Kampf zwischen Ost und West. Sondern der Krieg der Reichen gegen die Armen. Vietnam war ein Teil der Dritten Welt.

Walter Mossmann
Walter Mossmann
"Der Begriff Dritte Welt ist mir begegnet, gleich mit den Ikonen, also Che Guevara auf der einen Seite, Mao Tsetung auf der anderen Seite, auch Fidel Castro, Ho Chi Minh, als den verschiedenen Figuren, die versuchten, konkurrierend diese Dritte-Welt-Revolution anzuführen und zu prägen, und dann vor allem durch das Buch von Frantz Fanon."
"'Die Verdammten der Erde', das war ja ein Bestseller sondergleichen in der ganzen Welt, der wurde ja in unzählige Sprachen übersetzt, vor allem auch in sehr viele afrikanische und asiatische Sprachen."

"Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt." (Fanon)

Mossmann: "Und irgendwann hab ich dann auch gefunden, wie dieser Begriff Dritte Welt entstanden ist, nämlich durch einen französischen Demographen, Alfred Sauvy in den fünfziger Jahren, der ihn geprägt hat, eben nicht, daß er sagte: Erste, zweite, dritte Welt, troisième monde, würde das heißen, sondern tiers monde, heißt ein Drittel und bezieht sich genau auf die Dreiteilung der Gesellschaft in der Französischen Revolution, tiers état. Und er sagt eben, hier gibt es diese drei Kontinente, die früheren Kolonien, das ist der Dritte Stand der Weltgesellschaft im 20. Jahrhundert. Das war die Idee."
Guerilla in Kuba mit Fidel Castro
Es war ein wunderschöner Aufbruch. Zumindest von Europa aus gesehen.
Hier spielen lateinamerikanische Guerilleros lateinamerikanische Guerilleros. Fidel Castro selbst zieht hier vom Leder.

Wer wollte nicht dabei sein bei diesen Dschungelkämpfern, die die Freiheit brachten? Dutschke träumte davon. Er wollte nicht einfach nach Amerika gehen. Er wollte sich den Befreiungsbewegungen anschließen.
Die lateinamerikanische Guerilla war der schönste Traum der radikalen europäischen Jugend. Zeltlager auf höchster Ebene. Brot backen und Granaten bauen.

Und jetzt kommt ein Bild für die Sammlung. Sie kennen es noch nicht: Commandante Guevara, Che, Christus mit der Knarre. Hier beim Diktat.

Che diktiert
Che diktiert
Die Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung Die Mao Bibel. Amtlich: Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung. Druck und Verlag in der Volksrepublik China.

"Nachdem die Feinde, die mit Gewehren bewaffnet waren, vernichtet worden sind, wird es immer noch Feinde ohne Gewehre geben, die uns bestimmt bis aufs äußerste bekämpfen werden, und wir dürfen diese Feinde keinesfalls leichtnehmen."

Chinesische Lehrerin: "Überlegt einmal, welches sind die bewaffneten Feinde, welches die Feinde ohne Gewehr?"
Erstes Kind: "Die US-Imperialisten sind die bewaffneten Feinde, sie machen eine Aggression gegen Vietnam und halten unsere Provinz Taiwan besetzt. Wenn sie eine Aggression gegen das Festland machen, müssen unsere Tanten und Onkel und wir Kinder die Waffen in die Hand nehmen."
Zweites Kind: "Die schlechten Elemente wie Hu Feng, die von der Kulturrevolution entlarvt wurden, sind die Feinde ohne Gewehr. Wir müssen sie vernichten."
Lehrerin: "Kinder, ihr habt richtig erklärt, die Feinde ohne Gewehr sind noch schlauer, verderbter, schlechter als die bewaffneten Feinde. Sie haben die Jugendlichen mit bürgerlicher Ideologie vergiftet. Sie treffen Vorbereitungen für eine konterrevolutionäre Restauration. Deshalb ist die große Kulturrevolution des Proletariats ein Ringen auf Leben und Tod."
Chinesische Kulturrevolution

Chinesische Kulturrevolution

Diese Bilder stammen vom Anfang der Chinesischen Kulturrevolution, aus dem Sommer 1966. Das erkennt man daran, daß die Kinder noch ihre eigenen Kleidchen tragen. Am Ende, drei Jahre später, nachdem "Rote Garden" aus Schülern und Studenten alles bekämpft haben, was sie für traditionell und bürgerlich halten, tragen alle Chinesen Baumwollschuhe und den Einheitsanzug.
800000 kamen ums Leben, und die bundesdeutsche Wohlstandslinke war begeistert und sah alles so, wie sie es sehen wollte.

"Was ist das Hauptmittel dieser sogenannten Kulturrevolutionäre, ihre Vorstellungen durchzusetzen? Sie sagen, und soweit man das aus den Presseberichten entnehmen kann, stimmt das auch: Sie diskutieren. Sie diskutieren zwar mit ihrem Mao Tsetung unterm Arm. Mir scheint, daß durch diese diskutierende Haltung, daß also durch die permanente Bereitschaft, zu kritisieren und sich kritisieren zu lassen, genau der Punkt erreicht wird, an dem man eines Tages auch nicht mehr seinen Mao unterm Arm hat, sondern in den Schrank stellt." Ulrike Meinhof
Ulrike Meinhof
Vor der chinesischen Botschaft in London
Vor der chinesischen Botschaft in London. Ein Journalist versucht, ein Interview zu bekommen:
"Go away, British Imperialism!"
Dutschke: "Die DDR, was sie braucht, ist ganz eindeutig 'ne Chinesische Kulturrevolution. Eine Kulturrevolution in dem Sinne des Kampfes antiautoritärer Gruppen in der Führung, in den Parteien, in den Massen gegen die etablierten Apparate."

In einer Wohngemeinschaft in Bochum, 1969. (Mein Gott, wie´s da aussah...)

Der Wandschmuck zeigt das Spektrum der Dritten Welt, so wie sie von Bochum aus gesehen werden konnte:

Fidel Castro, hier einmal an der Stelle von Che, zur Abwechslung und wohl auch als Bekenntnis zu dem, was aus dem Guerillero wird, wenn er siegt: Staatsmann und - nötigenfalls - Diktator.

Mao, von dem man nichts kannte, außer den rätselhaften Sprüchen in einem kleinen roten Buch.

Ho Chi Minh, der Führer Nordvietnams, von dessen tiefem Humanismus man überzeugt war, obwohl man nichts von ihm wußte.

Und dann: Martin Luther King und neben ihm, etwas kleiner, Stokely Carmichael. Auch das war die Dritte Welt. Die Schwarzen Amerikas. Ob sie fromme Christen waren wie King, oder Prediger der Gewalt wie Carmichael.

Sie waren Afrika und Amerika zugleich. Sie standen für das städtische Subproletariat, für die besitzlosen Landarbeiter der Welt und für alle rassisch Unterdrückten. Sie kämpften gegen Amerika in Amerika, als hätten sie Che Guevaras Worte "Tragt den Kampf ins Herz der Bestie!" vernommen. Und sie kämpften für Amerika in Vietnam und starben dort für Amerika.

Vor allem aber hatten sie die bessere Musik.

WG in Bochum
Bobby Seale
Bobby Seale
:
"And he brung me two dollars."
"Weiße! Ihr! Ihr Liberalen habt für mich folgende Bedeutung. In der Schule gab es immer jenen kleinen, liberalen, weißen Jungen. Ich machte folgendes: zog mein Klappmesser, und sagte: 'Gib mir dein Taschengeld Junge, oder ich schneide deinen Bauch auf.' Dieser kleine, liberale, ängstliche Junge gab mir sein Taschengeld. Nächsten Tag nahm ich ihm das Geld wieder weg. Und am nächsten Tag wieder. Dann sagte ich zu ihm: 'Hör zu du Arsch, morgen bringst du mir zwei Dollar an.' Er brachte zwei Dollar an. Auf diese Art lernte ich, was Macht bedeutet.
Die Schweine kamen in mein Land, Mutterland der Schwarzen, Afrika. Sie kamen mit Waffen, mit Gewalt, machten uns zu Sklaven, stahlen unsere Arbeitskraft, die Früchte unserer Arbeit, stahlen unsere Mütter, stahlen unser Recht und unsere Regierungen, stahlen unsere Sprache und unsere Kultur, stahlen alle unsere Werkzeuge zum Überleben - wenn ich also dir zwei Dollar wegnehme, Schwein, sage du kein Wort."
"Ihr Quäker, ihr Liberalen, ihr Linken, der ganze Rest, nehmt euch zusammen. Die Vorhut der Revolution in diesem Land besteht aus Schwarzen. Ihr Liberalen, die ihr rumrennt und von einer Veränderung der weißen Machtverhältnisse sprecht laßt euch folgendes sagen: Wir wollen keinerlei Reformprogramme. Wir reden von einer schwarzen Revolution. Wir reden von einer blutigen, schwarzen Revolution. Wir werden nicht Jude spielen und schießen deshalb zurück. Darum wird es eine blutige Revolution sein."

Harlem.
Ihr Antiamerikanismus, den man der deutschen Linken oft vorhält, war eigentlich Pro-Amerikanismus in Schwarz. Gegen das reiche weiße, für das arme schwarze Amerika.

"Hier in Memphis sprechen einige von den Drohungen, die ausgestoßen wurden. Sie sprechen von dem, was unsere kranken weißen Brüder mit mir machen wollen. Ich weiß nicht, was geschehen wird - wir haben Schwierigkeiten vor uns. Aber das kümmert ich jetzt nicht: Denn ich habe auf dem Gipfel des Berges gestanden.
Wie jeder Mensch würde ich gern lange leben. Ein langes Leben hat seinen Wert. Aber darum geht es mir jetzt nicht. Ich will nur Gottes Willen tun, und Er hat mir erlaubt, auf den Gipfel des Berges zu gehen. Und ich habe hinübergeschaut. Und ich habe das Gelobte Land gesehen.
Vielleicht werde ich es nicht mit Euch erreichen, aber ich möchte, daß Ihr heute abend wißt: Wir als Volk werden das gelobte Land erreichen. Deshalb bin ich glücklich heute abend. Ich sorge mich über nichts. Ich fürchte keinen einzigen Menschen: Meine Augen haben die Herrlichkeit Seines Kommens geschaut."
Martin Luther King
Martin Luther King
Rassenunruhen
Der Mord an Martin Luther King zog Rassenunruhen nach sich. Ein bewaffneter Aufstand der Schwarzen Amerikas schien nah.
Die Revolution war aus der Dritten Welt in die USA gekommen und würde bald auch das Land der Gartenzwerge und Geistesgrößen erreichen.

Der Aufstand der Dritten Welt - das war also Ursache und Motor der Revolte, auch in Deutschland.

Es sei denn, man wollte ganz kühl sozialhistorisch urteilen.

Bernd F. Lunkewitz
Bernd F. Lunkewitz
"Für mich ist einer der Gründe für die Entstehung der Studentenbewegung die große Bildungsreform, wie sie hauptsächlich von der Sozialdemokratie ab Anfang der 60er Jahre betrieben worden ist. Plötzlich war es möglich in Deutschland, daß sehr große Teile der Jahrgänge studieren konnten. Allerdings war dann ein abgeschlossenes Studium nicht mehr der automatische Zugang zu den höheren Klassen, wie in den 50er Jahren und ganz besonders natürlich in den Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg. Es kam damals der Begriff des akademischen Proletariats auf."
"Man könnte, wenn man die Gesellschaft marxistisch analysiert, auch sagen, daß die Studenten, ihr Interesse als das allgemeine nehmend, im Grunde versucht haben, diese kleinbürgerlichen Interessen, mit abgeschlossenem Studium eine gute Position zu kriegen, mittels dieser, ja, ich will nicht sagen revolutionären Gewalt, aber mittels der gesellschaftlichen Unruhen, durchsetzen wollten. Die Arbeiter haben das übrigens auch relativ gut gemerkt und haben sich bei vielen Demonstrationen, die von den Studenten veranstaltet wurden, abseits gehalten. Irgendwie instinktiv gemerkt, daß das nicht die Interessen der Arbeiter sind, die vertreten werden sollen, sondern daß das partikulare Interessen einer kleinen bürgerlichen Schicht sind."
... Weiter im Text

| zurück zum Anfang   |Home
2/3

© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003