... Fortsetzung Folge 2 - Dutschke und Konsorten


Die Studenten glaubten, indem sie ihren Protest aus den Universitäten in die Öffentlichkeit trugen, der Sache der Arbeiter zu dienen. Die Arbeiter nicht.

Stimmen: "Nee davon halt ich ooch janischt. Studenten sind Studenten und Arbeiter sind Arbeiter."
"Nee, da bin ich ganz anderer Meinung, denn die Studenten sind doch ein Volk für sich."
"Na ich finde das ist Quatsch. Die Studenten und die Arbeiter haben da nichts zusammen zu tun. Meine Meinung ist, daß ist einzig und allein Studentensache und keine Arbeitersache."

Irgendwie wollten die Arbeiter nicht das richtige Klassenbewußtsein entwickeln. Vielleicht wollten sie lieber einen Opel Kadett.
Dutschke und Co hofften auf ein Proletariat, das es nicht gab.

Dutschke: "Wir Studenten, die bewußtesten Teile der Studentenschaft, haben in der letzten Zeit viele Fehler gemacht, haben den Lohn- und Arbeitskämpfen innerhalb der produktiven Sphäre, die sich seit langer Zeit ankündigten, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Haben nur unsere eigenen Probleme gesehen, hatten nicht begriffen, daß es eine Lösung unserer Probleme im isolierten Rahmen der Universität nicht geben kann, daß nur die Einheit von bewußten unabhängigen Massen und bewußten Teilen der Studentenschaft eine Lösung der sozialen und politischen Probleme dieser Gesellschaft bringen kann."

Eigentlich hätte die Linke an der Sturheit der Arbeiterklasse verzweifeln müssen. Sie tat es nicht, jedenfalls nicht, solange es die DDR gab. Heute glauben wohl nur noch die an den Sozialismus, die nie an die DDR glaubten.

Lunkewitz: "Ich habe mir das oft überlegt, aber ich werde mich auch nicht davon abbringen lassen, daß diese Gesellschaft einen Weg zum Sozialismus oder Kommunismus gehen wird, nur das wird etwas anders laufen, als das, was sich die Menschen damals vorgestellt haben. Eine proletarische Revolution heute braucht auch keine Gewalt. Also eine solche Umwälzung wird möglicherweise ganz friedlich vor sich gehen. Gewalt haben in der Gesellschaft bisher immer nur Minderheiten gebraucht. Und die kapitalistische Klasse ist mit Sicherheit eine Minderheit. Um an die Macht zu kommen, muß sie eine gewaltsame Revolution durchführen oder auch eine, in Anführungsstrichen, Diktatur errichten. Jedenfalls für eine kurze Zeit, das ist in Frankreich so gewesen und in vielen anderen Ländern auch. Das Proletariat, und damit meine ich eben die Menschen, die im Wesentlichen nichts besitzen außer ihrer Arbeitskraft, die sie verkaufen müssen um leben zu können, ist aber in der weitaus größten Mehrheit, warum sollten die Gewalt anwenden. Da wird es keine wehenden roten Fahnen und keinen Sturm auf das Winterpalais geben und keinen Barrikadenbau. Möglicherweise findet eine solche Revolution durch zweimal Mausklicken im Internet statt. Ich weiß es nicht. Ich glaube nur, daß wir eine Gesellschaft bekommen werden ohne Krieg, ohne Unterdrückung und ohne Ausbeutung, weil wir sonst nämlich keine Gesellschaft mehr haben werden."
"Wenn die Mausklick-Revolution stattfindet, werden Sie dann enteignet?"
"Ja, möglicherweise würde Grundbesitz nationalisiert. Das würde mich aber in dem Moment auch nicht stören, weil in der Gesellschaft, die mir vorschwebt, würde es mir ja an nichts fehlen."
Fernsehturm

Mir schon, glaube ich.
Und sei es nur, daß ich mein Maul aufmachen darf.

Matthias Beltz
Matthias Beltz
"Ich hab Examen gemacht, hab Jura studiert, bin dann in die Fabrik gegangen, im Zuge der revolutionären Weltverschwörung der 70er Jahre, weil wir wollten ja die Welt tatsächlich aus den Angeln heben. Bin ich damit schon Arbeiter geworden, nur weil ich in der Fabrik bin? Nach objektiven Kriterien schon, aber auf der anderen Seite hatte ich natürlich die Chance auch wieder was anderes zu machen. Insoweit ist das mit dem Arbeiter sein ein bißchen schwierig. Wir haben das auch heiß diskutiert. Ich weiß noch in unserer Gruppe, dem revolutionären Kampf, gab es dann den Begriff der spezifischen Differenz. Das war ein bißchen schon, fast so, wie wenn Ethnologen zu einem fremden Stamm gehen und gucken, was machen die Neger da. So sind wir auch ein bißchen in die Fabrik gegangen, um zu gucken, was treiben die da, wie kann man zusammen den Aufstand oder die Revolution oder die Revolte überhaupt organisieren.
Das Leben ändert sich, wenn man in einer Wechselschicht schafft, was das Private betrifft, verändert sich das. Gleichzeitig hab ich das in einer sehr, fast schon romantischen Erinnerung, das war auch faszinierend natürlich. Einmal konnte man so zu Hause in der Stadt sagen: Paßt mal auf, viele reden vom Proletariat, wir gehen persönlich hin, nicht nur abends in die Kneipe und wir arbeiten da nicht nur am Weltgeist, sondern auch mit den entsprechenden Leuten zusammen. Und es hat sich aber andererseits dann sehr schnell herausgestellt, was ja auch nicht verblüffend ist, daß die nicht unbedingt das wollten, was wir wollten. Die wollten keine Revolution machen und waren sehr mißtrauisch gegen alles, was politisch von außen kam. Und dann entwickelte sich das ja parallel auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zur langsam kommenden Erkenntnis: Es will sowieso keiner Revolution machen, die anderen auch nicht, und das, was wir mit der dritten Welt machen, das ist auch falsch, denn wir wissen ja gar nicht was die wollen, wir nehmen die ja nur als Projektionsfläche: Wir solidarisieren uns mit dem Widerstand in Chile, in Argentinien, in Vietnam sowieso, in Südafrika, aber jeder nimmt sich seine eigene Organisation, PFLPF, Palästinenser, und kümmert sich aber nicht wirklich darum, weil das nur für uns als innenpolitische revolutionäre Reservearmee gedient hat, als Projektion halt. Und das ist Mitte der 70er Jahre genauso zusammengebröckelt, wie die Hoffnung darauf, daß die Arbeiterklasse Revolution macht."
Rudi Dutschke im Auto
"Sagen Sie Rudi Dutschke, fühlen Sie sich eigentlich bedroht?"
"Na, die Bedrohung ist nicht in der Stadt, die ist international, aber ich fühle mich persönlich überhaupt nicht bedroht."

Stimmen: "Verbrennen müßte man sowat."
"Sone Leute haben hier nischt zu suchen."
"Der sollte mal richtig den Arsch vollkriegen."
"Der Mann müßte schnellstens verschwinden hier."
"Glauben Sie, daß er ein Kommunist ist?"
"Na aber wat für eener."
"Sollte man ihn rausschmeißen?"
"Zumindest."

Das Attentat auf Rudi Dutschke, ausgeführt von einem, wohl durch die Springer-Presse und die National-Zeitung aufgehetzten, jungen Mann aus sehr einfachen Verhältnissen.
Es fand am 11. April 68 statt, eine Woche nach dem Attentat auf Martin Luther King.
Neun Tage nachdem Baader, Ensslin und andere Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern gelegt hatten.
Dutschke überlebte schwer verletzt, in den Kopf getroffen, er starb 1979 an den Spätfolgen des Attentats.
Die nun ausbrechenden Osterunruhen in Berlin und anderen Großstädten, die Angriffe auf den Springer-Verlag ("Springer Mörder!"), die Straßenschlachten - das ist das eigentliche 68. Der Höhepunkt der Studentenrevolte. Und der Anfang vom Ende.

Osterunruhen
Osterunruhen
Die Sache wurde immer aggressiver, nicht nur auf der Straße, sondern gerade gegenüber denen, die den Studenten eigentlich nahestanden.

Hier erwischt es Alexander Mitscherlich, abgekanzelt wird er von Hans-Jürgen Krahl, der neben und nach Dutschke lautesten Stimme der Studentenbewegung.

Mitscherlich hat Verständnis, natürlich.
Als Psychoanalytiker.

Hans-Jürgen Krahl
Alexander Mitscherlich
Alexander Mitscherlich
"Erinnern Sie sich noch, als wir eine Hitlerjugend hatten? Da tat diese Hitlerjugend die alte Generation als die vorrevolutionäre ab. Es gehört immer zu jeder revolutionären Bewegung ein Stück Vatermord, wie man so sagt, ein Stück Mord der alten Generation. Alle großen Revolutionen der Weltgeschichte enthalten dieses Abtöten, dieses gewaltsame Abtöten der Vergangenheit, weil diese Vergangenheit so enttäuschend war auf der einen Seite, einen eben nicht beschützt hat, und weil auf der anderen Seite man doch sehr viel Furcht vor ihr hat."

Besonders kritisch sahen die Studenten Professor Adorno, gerade weil er eine Kultfigur war.

Safranski: "Mit Adorno und an ihm vollzog sich eine Tragödie. Man kann schon sagen, das, was ihm da widerfahren ist, hat ihm das Herz gebrochen. Als er dann im Sommer 69 an Herzschwäche auch starb. Das Tragische war, daß wir, die 68er Bewegung, seine radikalen Analysen der Gesellschaft, daß die Gesellschaftsstruktur selber das Falsche ist, in dem wir leben, diese von ihm radikal vorangetriebene Analyse, "Es gibt kein richtiges Leben im falschen", das war damals das geflügelte Wort, daß er diese Analyse vorgelegt hatte, mit dem Bewußtsein und mit der Voraussetzung, daß es einen solchen systemischen, also aufs System bezogenen, Verhängniszusammenhang und Verblendungszusammenhang, das waren die Ausdrücke damals, das dieser Zusammenhang so dicht ist, daß man da nicht rauskommt. Man kommt nicht raus. Und er selber als der Theorievirtuose entwickelte schon sehr viel Freiheitsimpuls und realisierte sehr viele Freiheitsimpulse einfach durch die Tatsache, daß er eine Theorie darüber machte. Das war schon ein Stückchen Befreiung für ihn. Aber dieses Stück der Befreiung, das nur in der Theorie liegt, das wollten wir nicht akzeptieren, wir wollten es konkreter haben. Und das ging für Adorno nicht. Und wir nahmen seine theoretischen Impulse auf und wollten eine viel holzschnittartigere Praxis der Befreiung. Er sah nur das Schweißtuch der Theorie: Auseinanderfalten, das war schon sein Akt von Befreiung, und wir wollten mehr." Rüdiger Safranski
Rüdiger Safranski

Georg Lukács aus Budapest wollte auch mehr. Adorno warf er vor, seine Radikalität sei geradezu darauf aus, keine Folgen zu haben.
Sie logiere im "Grand Hotel Abgrund", sagte er über die Frankfurter Schule.

Lukacs
Georg Lukács
"Hier ist jetzt die Sache, wo dieser äußerste Radikalismus meiner Ansicht nach in einen Opportunismus umschlägt. Nämlich, daß nicht die Opposition gemacht wird, die heute möglich, notwendig und nützlich wäre, sondern daß man sich sub titulo einer über alles erhabenen und außerordentlich kritischen Sicht irgendetwas macht, wogegen weder Adenauer, noch Erhardt noch Kiesinger den geringsten Einwand erheben würden."

Adorno dagegen sah in dem ständigen Drängen zu revolutionärer Tat bereits den Stalinismus wieder heraufziehen.

"Was tun?"
"Ich glaube, daß gerade in dieser Voreiligkeit, des 'Was tun?', was soll ich jetzt hier unmittelbar tun, bereits ein Moment liegt, das die Erkenntnis selber sabotiert und dadurch eine wirklich vernünftige Praxis unmöglich macht. Es geht davon eine Art von Terror aus; im Grunde bedeutet diese stetige Frage: 'Was tun?', wenn man sie übersetzt, soviel wie: Du sollst Dich, Du mußt Dich jetzt hier unmittelbar, und zwar natürlich für uns entscheiden, die Gedanken, die Du über die Situation, über das objektiv Mögliche oder überhaupt über eine richtige Einrichtung der Gesellschaft beizubringen hast, das ist kalter Kaffee, sondern wenn Du nicht jetzt zu uns Dich bekennst, indem Du Dich der Praxis einreihst, dann bist Du eigentlich ein Verräter."
Theodor Adorno
Theodor Adorno

Safranski: "Dann gab es eine ganze Reihe von Vatermordszenen, aus der Distanz wird das so richtig deutlich, daß hier der Vater gemordet werden sollte, als hilflos, als lächerlich vielleicht. In Berlin gab es eine Veranstaltung, die war vielleicht die schlimmste, die ich hier auch erlebte, wo man dem Theodor Adorno mitten in einem sehr subtilen Vortrag über Iphigenie von Goethe im Audimax der FU einen aufgeblasenen Teddybär überreichte. Und das sind Formen von Vatermord, die sind ganz furchtbar. Ihn auf diese Weise lächerlich zu machen, und das, neben manchem anderen hat ihm dann auch wirklich das Herz gebrochen."

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