... Fortsetzung Folge 1 - Protest und Theorie


Horkheimer: "Hör mal zu. 'Air force missile fails to orbit ...
     Air-Force-Rakete verfehlt die Umlaufbahn
     Abrüstungskonferenz steckt in Sackgasse
     Vietnam-Krieg hat sich festgefahren
     Ohne die Zeitung hätte ich einen gewaltigen Minderwertigkeitskomplex
Maidon: "Wunderbar"
Horkheimer: "Also der sagt doch wirklich, was ich selber fühle.
Weißt Du, das Schöne an den Comics ist eigentlich, was man auch über Amerika sagen mag, Amerikaner sagen es von sich selbst. Die haben einfach die Großzügigkeit, das im Witz selber zu sagen. Und manchmal denke ich, hier ist der Witz verstummt."

Comic strip
"Was ist der Unterschied zwischen der Frankfurter Schule und der neuen Frankfurter Schule?"
Gernhardt: "Wir von der neuen Frankfurter Schule können alle besser zeichnen."
Horkheimer: "Gott wie schön, daß es die Comics gibt."
"Hat die Linke Humor?"
Gernhardt: "Naja, da wurde doch recht heftig gegen Komisches argumentiert, also in den sechziger Jahren ... also dieser berühmte Satz von Degenhardt: 'Zwischentöne sind nur Krampf in dem Klassenkampf' und Komik ohne Zwischentöne und ohne um die Ecke denken gibt es nicht, und wenn das abgelehnt wird, dann gibt es eben auch keine Komik mehr und dann hat man auch keinen Humor, denn man braucht den Humor, um Komik herzustellen."
Franz-Joseph Degenhardt
"Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf"
Robert Gernhardt
Robert Gernhardt
"Für mich war das Experiment Sozialismus, Staatssozialismus von vornherein unglücklich gelaufen. Das wußte ich schon als Schüler in Göttingen und deswegen wunderte mich sehr, daß auf einmal der Klassenkampf noch mal im Westen toben sollte. Weil ja hier alles seinen geregelten Gang ging. Die sechziger Jahre waren ja eine Zeit der steigenden Zuwachsraten und der Massenbeschäftigung. Es gab eigentlich keine Zeit im deutschen Gemeinwesen, wo es so wenige direkte Probleme gab innerhalb des Staates, wie in den sechziger Jahren. Das waren paradiesische Zeiten, und wer die nicht erlebt hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie paradiesisch die waren, wer sie nicht bewußt erlebt hat, denn es gab ja damals auch noch nicht dieses Gefühl der Gefährdung der Umwelt zum Beispiel. Diese Fragen kamen ja erst in den Siebzigern auf. Man konnte also ungehindert alle Ressourcen verschwenden und alles auf den Kopp haun. Und es gab auch schon die ersten kulturrevolutionären Möglichkeiten. Es gab schon diese Aufweichung der alten Sexualmoral, Rigidität, das war eigentlich die beste Zeit. Und daß nun damals dazu aufgerufen wurde, dieses gut funktionierende Gemeinwesen von Grund auf zu ädnern, das hab ich nie begriffen."
"Also ich würde mich jetzt Links nennen."
"Worin drückt sich denn das aus, das Linkssein?"
"Daß ich nicht rechts bin."
"Das ist eine negative Bestimmung."
"Ja das geht nur so. Links kann man nur bestimmen indem man von Rechts redet oder von der Mitte redet. Links an sich gibt es nicht."

Vielleicht waren die sechziger Jahre gar nicht die muffige, spießige Zeit, als die sie meist beschrieben werden, sondern eine schöne Zeit, eine Zeit der Jugend und des Aufbruchs?
Wenn das stimmt, dann nicht nur im Westen, sondern im Osten erst recht. Moskau 1962.
Der Krieg war verwunden, Stalin verdrängt, bescheidener Wohlstand machte sich bemerkbar.
Der Kosmos wurde erobert, die Kultur blühte, und mit ihr zog ein Hauch von Freiheit durchs Land.


Freiheit allerdings (wieder Rosa Luxemburg) auch der Andersdenkenden. Die Bücher Solschenizyns und anderer, die aus den Lagern kamen, schlugen dem Imperium unheilbare Wunden. Die Idylle erwies sich als Illusion.

Ernst Nolte
Ernst Nolte
"Wenn man Linke mit Aufbegehren und mit Rebellion in eins setzt, dann waren auch diejenigen, die gegen diesen Staat aufbegehrten, die sogenannten Dissenters, die Dissidenten, die waren dann die eigentlichen Linken und haben sich so verstanden. Daß also zwei sehr verschiedene Linke hier gegeneinanderstanden, ist sicher eins der interessantesten Phänomene im 20. Jahrhundert. Aber wie es dazu kam, ist nicht allzuschwer zu erkennen, nämlich daß das Zeitkonzept der Linken sich nicht realisierte. Lenin hat noch gedacht: 'Im nächsten Frühjahr machen wir den Weltsowjetkongress in Berlin. Und dann ist die Welt auf unserer Seite.' Aber dieses Frühjahr kam nicht. Man wird annehmen düfen, daß die frühen Sowjetführer wirklich darunter gelitten haben, aber die Hoffnung nicht aufgegeben haben, daß es eines Tages so sein würde. Und daß dann in ihrem eigenen Staat Menschen aufkamen, die sich als Linke empfanden, weil sie gegen diesen Staat, der ja auch eine gewisse Klassenordnung in sich enthielt ... Es war eben nun mal nicht ein Politbüromitglied einem Kolchosebauern gleich, das war eine sehr große Ungleichheit, das heißt, alle Affekte der Linken konnten sich gegen diesen Staat wenden, aber dieser Staat konnte immer sagen, wir sind kein Staat, wie die anderen Staaten Staaten sind, sondern wir sind ein Staat, der sich selbst überholt."

"Der heimliche Aufmarsch":
Es geht durch die Welt ein Geflüster
Arbeiter hörst Du es nicht?
Das sind die Stimmen der Kriegsminister
Arbeiter hörst Du sie nicht?
Es flüstern die Kohle- und Stahlproduzenten
Es flüstert die chemische Kriegsproduktion
Es flüstert von allen Kontinenten
Mobilmachung gegen die Sowjetunion

Militärisch wurde die Sowjetunion nicht bezwungen. Sie starb an wirtschaftlicher Schwäche. Geburtsfehler Planwirtschaft. Die Illusion des Arbeiter- und Bauernstaats auf dem Weg zum Kommunismus, an den zuletzt nur noch die geglaubt hatten, die partout nicht hinsehen wollten (also fast alle Linken in Deutschland-West), verging wie ein Traum. Sie sahen einander an und erkannten sich nicht mehr. Links schien mit einem Schlag vorbei.

Oskar Negt
Oskar Negt
"Würden Sie sich heute noch als Linken bezeichnen?"
"Ja, ich würde mich als Linken bezeichnen, in dem Sinne, daß ganz bestimmte Fragestellungen für mich nach rechts und links zu unterscheiden sind."
"Warum hat denn der Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus, sowjetischen Sozialismus, 1989 die bundesdeutsche Linke, wo sie doch gar nicht so d'accord damit war, so stark irritieren können?"
"Sie haben recht, für mich ist das nach wie vor so etwas wie ein geistesgeschichtlicher Skandal, der da eingetreten ist. Viele Leute, die ja mit diesem System des Sozialismus oder Kommunismus überhaupt nicht einverstanden waren, sondern das radikal kritisiert haben, beginnen jetzt, nachdem das in sich zusammengebrochen ist, die Idee des Sozialismus, für die sie gekämpft haben selber zu verabschieden; ist für mich häufig nicht verständlich."

Daß die moskautreue DKP in den Abgrund fuhr, ist klar. Aber die anderen alle? Also zum Beispiel Wolf Fritz Haug. Für den war das ein echter Schock. Den er sich aber auch erklären kann.

Haug: "Das ist wie wenn man in einem Gebäude die Statik verändert oder irgendwelche Stützelemente rausnimmt, und plötzlich stellt sich heraus, daran hing die Stabilität des Ganzen, das bricht jetzt zusammen. So wie weltweit die Entwicklungsregime zusammengebrochen sind, bis hin nach Indien, einem der großten Länder der Welt, die mußten sich dem Neoliberalismus öffnen, dem Freihandel, dem Freihandelsregime, und überall Schocktherapien, wie in Russland, erfahren. Das hat zu einer Zerstörung eines Netzwerkes alternativer Politikmöglichkeiten auf diesem Globus geführt, was ganz unersetzlich ist. Und das hat schon zur Schwächung der Linken beigetragen. Seither gibt es auf dieser Erde noch keine alternativen Vergesellschaftungsvorstellungen mit Aussicht auf Realität, alternativ zum Weltkapitalismus. Das ist schon eine gewaltige, nicht eine Desorientierung, sondern ein Perspektivverlust. Das Kind ist tot."

Ton, Steine, Scherben:
Arbeit macht das Leben süß,
so süß wie Maschinenöl.
Ich mach den ganzen Tag nur Sachen,
die ich gar nicht machen will.
Ich möchte gern mal meinem Chef
die Möbel gradeziehn.
Ich möchte am liebsten abhaun,
wenns zuhause wieder kracht
Und ich warte jeden Montagmorgen
schon auf Freitagnacht.

Ton, Steine, Scherben
"Die Leute, die Arbeitnehmerschaften in den westeuropäischen Ländern, die wurden beteiligt und zwar ooch prozentual und vernünftig und anteilig an den Früchten ihrer Arbeit und ihres Leistungsvermögens, solange es den sogenannten Ostblock noch gab, den COMECON und ab dem Moment, wo der sich überlebt hatte, wo der nicht mehr da war, wurde angefangen, mit den Leuten Schlitten zu fahren."
Glaubst Du, daß der Sozialismus tot ist?"
"Nee. Uff keenen Fall, warum soll der tot sein?"
"Weil's danach nicht mehr riecht, nach Sozialismus."
"Ja, das mag ja sein, wir haben das sicherlich nicht als allergrößtes Anliegen der einzelnen Bevölkerungen in den einzelnen Ländern, aber Sozialismus anderer Prägung seh ich in keinster Weise ausgeschlossen. Die Leute werden immer aufgeklärter, inwieweit immer mehr Bildung in die Köpfe kommt, das dürfte auch unwidersprochen sein, zumindest weltweit, ob das jetzt hier der Fall ist, dit weeß ick nich, das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, hier ist das jetzt weniger, hier soll es jetzt mehr die Unterhaltungs- und Spaßgesellschaft sein."

"Es geht nur noch darum, die Märkte immer größer zu machen, damit man mit immer weniger Produkten immer höhere Profite in immer mehr Regionen der Welt erzielen kann. Daß man dadurch die einzelnen Gesellschaften zerstört, daß man also überbrachte Gewohnheiten, Ernährungsweisen und und und da einfach nur vorführt und kaputtmacht, daß man auch die Menschen damit schädigt, das soll überhaupt nicht gesehen werden. Und zum Beispiel diese, ich will mal sagen, diese Tollenphilosophie des Kapitalismus, das ist ja sowieso 'ne Geschichte, die ihn letztendlich zerstören wird, weil die können nicht immer nur neu. Wenn ich mir nur überlege, was da an unsinnigen Rescourcen vergeigt wird auf Dauer und was da an unsinnigen Konflikten geführt wird, aus dieser Situation heraus kann ich sagen, das ist einfach nicht durchzuhalten, und es gibt ja auch schon widerstrebende Bewegungen, die einfach sagen, so läuft das nicht.
Sich selber hat man ja auch schon insoweit, sagen wir mal beruhigt, als daß man mehr oder weniger alle Ideale, die man mal hatte, über Bord geworfen hat. Ich hatte selbst meine erste aktive Bestechung durchgeführt, indem ich also einem Umzugseinkäufer eine Querflöte zukommen ließ. Das war aber auch eine meiner größten und meiner letzten Taten, weil das war mir dann irgendwie viel zu blöde. Der hatte mir vorgeschlagen, ich soll mit ihm ins Puff gehen. Also das fand ich das Allerletzte. Da hab ich ihm vorgeschlagen, ob wir das nicht irgendwie anders erledigen könnten. Und das hab ich dann auch gemacht, da gab's dann eine Querflöte, für die Tochter, zwölfhundert Mark, weeß ick noch, Tach wie heute."
Klaus E. H. Zapf
Klaus E. H. Zapf

Ton, Steine, Scherben:
Aber ich will nicht werden
was mein Alter ist. Nee
Ich will nicht werden
was mein Alter ist.


Klaus Theweleit
Klaus Theweleit
"In der allgemeinen Auffassung wird 68 so als die Zeit des Aufbruchs, der Kulturrevolution, des Zusammenlebens, der sexuellen Revolte und so weiter begriffen, und denkt man an die siebziger Jahre, dann denkt man eher an das politische Sektierertum, an das Blutvergießen der RAF. Kann man sagen, daß die Siebziger das Grab der fröhlichen Revolte waren?
"Ja, das kann man, glaub ich, sagen, das Grab der fröhlichen Revolte bestimmt. Das kam dann aber in Teilen wieder, in Teilen der Ökobewegung und in Teilen der Frauenbewegung. Da hat etliches aus den Sechzigern überlebt oder ist neu belebt worden, sagen wir mal so."
"Sehen Sie in Teilen der Frauenbewegung etwas Fröhliches?"
"Ja am Anfang da gab es eine ganze Reihe Aktionen der Frauenbewegung in verschiedenen Städten, sei es um Abtreibung rum, sei es den Aufstand gegen ihre Typen, die waren witzig. Das war nicht immer so verbissen, wie das dann wohl überwiegend geworden ist."
"Von mir dann erlebt wurde."

"War der Minirock links?"
(Tiefes Durchatmen) "Ja, ich würde sagen: auch. Gehörte da rein."
"Ist das ein Element von Befreiung?"
"Das war ein Element von Befreiung, ja, auch wenn das nicht lange gedauert hat, bis sich die Einsicht durchsetzte, daß es überwiegend einem sexistischen Blick zuarbeitete. Diese Sorte Entblößung der Oberschenkel, zumindest für das erste oder das zweite Jahr, wo das passierte, war das gleichbedeutend, wie mit diesem andern Schnack, mit dem Muff unter den Talaren von tausend Jahren. Das war auch so eine Lüftung, wie auch die Pille, ein Zugang, der eröffnet wurde.
"War Haschisch links?"
"Gab's Rechte, die Haschisch geraucht haben? Woanders in der Welt vielleicht schon, überall. In den Sechzigern in Deutschland glaub ich wenig, hier war das links."
Haschisch

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© Schmidt & Paetzel Fernsehfilme 2003