... Fortsetzung Folge 3 - Lärm und Gewalt |
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Siegward Lönnendonker "das ist Deutschland, Modell Deutschland, und jetzt guckt da mal hin." |
"Es wird alles manipuliert, egal was wir machen, unser Widerstand ist auch schon mit
drin. Wir, wenn wir Widerstand leisten, und irgendwas machen, weiß der Himmel, da 'ne
Explosion und da'n Happening oder so was, das trägt alles nur zur Systemstabilisierung
bei, und das System rechnet schon damit und hat das alles schon mit drin. Da brauchen
wir uns gar nicht mehr groß anzustrengen. Wenn ein solches System als Kapitalismus so funktioniert, hat es einfach diese Struktur und diese Struktur ist einfach gewalttätig jedem gegenüber. Er kann nicht mehr raus. Man kann machen was man will, man schafft es einfach nicht mehr, das System aufzubrechen und wenn man es, je nachdem wie verfestigt so ein System ist, das wirklich dann noch aufbrechen will und das alles dann noch ernstnimmt, dann landet man bei der RAF, bei der Roten Armee Fraktion. Die sagt: Dieser ganze Staat ist ein Polizeistaat. Die andern sagen: Du spinnst. Dann sagen die: Moment, das werden wir Euch beweisen. Dann bringen sie einen Polizisten um und 14 Tage, ach am selben Tag schon, überall, die Polizei mit Knarren macht große Kontrollen, hier kommt keiner mehr durch, da kommt keiner mehr durch. Das BKA, das Bundeskriminalamt, kriegt Geld wie wahnsinnig, und ein Jahr später kann man die Bundesrepublik nicht mehr erkennen. Das ist also so, wir haben damals gesagt, als hätte die CSU zwanzig Jahre lang alleine regiert. Der Vorhang geht auf und wir sehen, das ist die Bundesrepublik, das ist Deutschland, Modell Deutschland, und jetzt guckt da mal hin." |
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Telefonmittschnitt: "17 Uhr 24. Polizeinotruf" "Ja, Witt, in der Eisenacher Straße, Ecke Fuggerstraße werden drei junge Leute mit der Pistole bedroht, von einem. Ich weiß nicht, ob das schon die Auswirkungen der Baader-Jagd sind, können Sie mal da sofort hinfahren?" "Eisenacher Ecke ...?" "Fugger, da so bei dem Antiquitätengeschäft, gegenüber vom Spielplatz." "Was ist da?" "Na, da werden drei junge Leute von einem mit'ner Pistole bedroht und so. Und die lehnen sich jetzt da an die Wand mit gehobenen Armen und so." "Bedrohung mit Pistole, ja?" "Von einem Zivilisten, nicht von einem Polizisten." "Wir kommen mal hin." "Es wird geschossen!" "Ja, wir kommen hin, bleiben Sie bitte dran." "Schnell Mensch! Einer liegt, es wird geschossen, hören Sie?" Im Dezember 71 wurde Georg von Rauch von Polizisten erschossen. Die Umstände seines Todes wurden nie ganz geklärt. Auch weiß man bis heute nicht, ob er wirklich mit der RAF zu tun hatte. Für die Bild-Zeitung ja. In der Hausbesetzer-Szene, die gerade losging, sah man Georg von Rauch als Opfer des Bullenstaats. Er war für sie etwas anderes als der durchgeknallte Andreas Baader mit seinen geklauten Mercedessen. Er war einer von ihnen. Gert Möbius, der ältere Bruder des Ton-Steine-Scherben-Sängers Rio Reiser war Rädelsführer bei den ersten Hausbesetzungen. Und einer der Freunde Georg von Rauchs. |
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Möbius: "Das war ja so eine Gruppe von Leuten, die es eigentlich nicht wollten.
Eigentlich waren das Haschrebellen, kann man sagen. Und die auch Musik, wenn Du mit
denen gefahren bist, da lief nur Musik, auch zu Hause bei denen, immer 'ne hundert
Watt Musikanlage. Man hätte da reingeraten können oder auch nicht. Das war manchmal
gar nicht so einfach, sich davon freizumachen. Weil, die kamen ja zu Dir und sagten:
'Gib mir mal Deinen Ausweis her. Bist doch'n Kumpel, gib mir mal Deinen Ausweis her.
Bist Du zu feige dazu?' Dann mußt Du sagen: 'Ja, ich bin zu feige dazu.'" "Wenn Du zurückguckst, warst Du zu feige dazu oder war das etwas anderes?" "Ich war zu feige, ich wollte nicht ins Gefängnis. Und auch Rio nicht, Rio hat auch fürchterliche Angst vor Knast gehabt. Hab ich auch heute noch." "Wenn jetzt also jemand kommt und sagt: 'Gib mir mal Deinen Ausweis, Du willst doch ein Genosse sein, also gib mal Deinen Ausweis, gib mir mal Dein Auto, mach mal dies, mach mal jenes, selbst wenn ich gar keine Angst hätte, dann würde ich mir doch sagen, da ist doch irgendwas faul." "Du hast doch die Leute gekannt, da haben sie noch keine Knarre gehabt, Du hast doch mit denen am Tisch gesessen, Du hast mit denen gegessen, Du hast mit denen einen Joint geraucht, alles gemeinsam, Du warst mit denen sogar verreist, im Urlaub sechs Wochen, und plötzlich kommen die mit 'ner Knarre an, und sagen: Guck mal, was ich hier hab. Dann haben sie alle Stoppuhren gehabt..." "Das war irgendwie auch modern." "Das war schick." |
Gert Möbius "Guck mal, was ich hier hab." |
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Eigentlich wollten sie es nicht, Terroristen sein, aber sie hatten Spaß an ihren Knarren. Dann gab's die ersten Toten und dann gab eins das andere. Telefonmittschnitt: "Hallo! Also sowas (keuch), das war doch niemals Polizei!" Doch, es war Polizei! Die Polizei war nicht mehr dein Freund und Helfer, und der Staat nicht mehr der von 68. Der Schädel eines erschossenen, mutmaßlichen Terroristen, im Fernsehen ausgestellt - zur Abschreckung? Die Methoden der Rasterfahndung, die damals entwickelt wurden, waren ein großer Schritt zu der von Adorno befürchteten "total vewalteten Gesellschaft". Waren die Terroristen der Grund für diese Entwicklung? Oder nur der Anlaß? |
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Dies ist der spätere Außenminister Fischer. Mit Helm und Lederjacke. Hier schlägt er auf einen Polizisten ein. Militante Demo oder "Der Typ in Uniform ist kein Mensch?" Ziemlich schmaler Grat zwischen roher Gewalt und alternativer Politik. |
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Hier fliegt ein Mann in den Jemen. Er hat sich bereit erklärt, freigepresste
Terroristen zu begleiten, damit der entführte CDU-Politiker Lorenz wieder
freikommt. Die erste Entführung, 1975. Die Entführer gehören zur "Gruppe 2. Juni". Ein Datum als Name. Es soll an den 2. Juni 1967 erinnern, an den Tod des Studenten Benno Ohnesorg, und daran, wer zuerst geschossen hat. |
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Pfarrer Albertz war damals Regiernder Bürgermeister von Berlin. Und er konnte diesen
Tag, den Schah-Besuch, nie verwinden. Über den 2. Juni, schrieb er einmal, würde
er dereinst vor seinem Herrn Rechenschaft ablegen müssen. Auf dem Flug erfuhr er etwas vom Weltbild der Terroristen. | |||||
Heinrich Albertz "Mondmenschen" |
"Diese bundesrepublikanische Gesellschaft ist verrottet,
marode und was weiß ich. Sie muß verändert werden. Sie kann nur verändert werden mit
Gewalt. Und nun kommt der entscheidende Punkt: Der Staat wird darauf mit brutaler Gewalt
antworten, er wird ein Polizeistaat werden. Und dann, wenn wir die Opfer geworden sind
dieser Auseinandersetzung, wird sich das Volk erheben und es wird die Revolution kommen
und es wird ein freies Land sein. Daß die Ereignisse seit, wann hat's denn angefangen, 70 'ne bis heute, daß die aus diesem Staat etwas gemacht haben, das wir, die wir mal das Grundgesetz unterschrieben haben, uns nie hätten vorstellen können. Ich brauch mir ja nur anzuschauen, wie die Polizei zu meiner Zeit ausgesehen hat, als ich noch Polizeisenator war, und wie sie heute aussieht. Mondmenschen." |
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"Hatte man nicht manchmal das Gefühl, daß man völlig unterwandert war und daß
man gehandelt hat, wie eine Marionette an Fäden, ohne es zu ahnen?" "In dem was wir an der Uni gemacht haben und selbst gemacht haben überhaupt nicht, das war vollkommen selbstbestimmt. Aber alles, was in Richtung von Stadtguerilla ging und was sich in Richtung RAF bewegte, da hat es kaum einen Schritt gegeben, der nicht mit Spitzelbeteiligung und Nachrichten an BND und Verfassungsschutz lief, da bin ich sicher. Die RAF-Leute waren zum großen Teil in diesem Sinne tatsächlich Marionetten der Politik, die man auch gern von ihnen wollte. Das war ja die Sorte von Verfolgung, die aufgezogen wurde gegenüber dieser nicht so wahnsinnig gesellschaftsbedrohenden und großen Gruppe, weil man was Fixierbares haben wollte zum Vernichten und zum Opfern, um dieses berühmte Exempel zu statuieren, wir sind stärker und wir sind die Macht." |
Klaus Theweleit "Die RAF-Leute waren Marionetten." |
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1977 wurde Arbeitgeberpräsident Schleyer entführt, seine Begleiter ermordet. Hat das noch irgendwas mit links zu tun? Sind wir hier im falschen Film? |
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Walter Mossmann "Das Liquidieren ... da ist doch alles verloren." |
"Wenn ein Revolutionär zum Henker wird, dann ist ja alles zu Ende. Das ist ja auch der
Übergang von einer revolutionären Bewegung zum, zu dem, was wir dann als Stalinismus
bezeichnen. Das Liquidieren, das ist doch der Punkt, wo ... da ist doch alles verloren. Also ich hab mir die Leute auch damals angesehen, ich kenn sogar welche, wie sich dann herausstellte. Ich dachte: Mensch, das sind Typen, wir sind zusammen gegangen, und jetzt machen die so ein maskenhaftes Gesicht und halten jemandem die Pistole an die Stirn und schießen." |
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Herbert Marcuse: "Die Untaten der letzten Jahre und Monate in der Bundesrepublik haben mit politischer Aktivität und politischer Gewalt meiner Meinung nach überhaupt nichts zu tun." | |||||
Marcuse, der gelehrt hatte, daß der Kampf gegen das System notwendig illegal sei, wirkt jetzt wie Goethes Zauberlehrling: die er rief, die Geister, wird er nun nicht los. |
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"Man hat behauptet, daß die Extremisten in irgendeiner Weise die Erben der Studentenbewegung der sechziger Jahre und der APO sind. Ich halte das für vollkommen falsch. Ich glaube, daß man bei keiner Anstrengung der Einbildungskraft die Söhne und Töchter der Bourgeoisie, die diese Taten ausgeübt haben, als eine unterdrückte und überwältigte Minorität bezeichnen kann." |
Herbert Marcuse "Söhne und Töchter der Bourgeoisie" |
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Auf einmal spielt es eine Rolle, daß die Terroristen nicht für sich, sondern für andere zu kämpfen meinten. War Che Guevara denn nicht auch ein Sohn der Bourgeoisie? Die Zelle Hans Martin Schleyers, die Terroristen nannten das im Ernst Volksgefängnis. |
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Theweleit: "Die leerlaufende Linke, große Teile, die in den 60ern aktiv gewesen waren, die aber sich mit den K und ML-Gruppen nicht verbinden konnten, auch nicht DKP wurden, die traten im Nichts. Sehr viele Universitätsleute. Dieser sogenannte Sympathisantensumpf, wie das hieß, bestand ja aus Professoren, Leuten, die Links geworden waren, im Laufe der 60er und sich jetzt an den Unis isoliert fanden, oder den Boden entzogen zum großen Teil, und ein furchtbar schlechtes Gewissen hatten, daß nach allem, was sie auch an Parolen mit verbreitet hatten und an Forderungen und das mit ihrer Praxis verglichen, wie mickrig das dann aussah. Ein paar Leute fielen dem dann zum Opfer, wie Peter Brückner, der absolut kein Gewaltmensch war, absoluter Anti-Waffen-Mensch, aber sich aus einer bestimmten Radikalität seines Denkens, verpflichtet fühlte, diese politischen Positionen nicht anzugreifen und zu denunzieren, sondern die aufrecht zu erhalten." | |||||
Peter Brückner: "Was heißt Revolutionär? Ich kann nur sagen, daß die RAF ihrem Selbstverständnis nach zu den Revolutionären und Sozialrevolutionären der Gegenwart gehört, ihrem Selbstverständnis nach. Und das bindet uns ein Stück weit." | |||||
Wer sowas sagte, Selbstverständnis der RAF, geriet schon in die Mühlen, war geistiger - nein, nicht Brandstifter. Damals hieß es Wegbereiter. |
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Peter Brückner "Revolutionäre und Sozialrevolutionäre der Gegenwart" |
"Wie bin ich in die Geschichte eigentlich reingekommen? Nun, einmal, ich bin seit
1941 in linken Aktivitäten engagiert und war von vornherein, seit etwa 1965, auch auf
der Seite der Studentenbewegung zu finden. Es hat natürlich eine Reihe von politischen Gemeinsamkeiten zwischen Angehörigen der Roten Armee Fraktion und mir gegeben, aber auch eine Vielzahl von Differenzen, auf die freilich in den letzten zwei oder drei Jahren niemand mehr so recht geachtet hat." |
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"Er hat in dieser Debatte, wie ich heute finde heldenhaft und auch richtig, darauf bestanden, daß die Gewalt historisch gesehen keineswegs immer nur als legitime Gewalt vom Staate ausgehen muß. Es gibt Situationen, wo sich das Volk bewaffnen kann, oder meinetwegen auch einzelne Gruppen, der Tyrannenmord ist dann in solchen Zusammenhängen immer das Stichwort. Darauf hat er immer wieder hingewiesen und hat wirklich lange gelehrte Abhandlungen darüber geschrieben, daß es manchmal sogar auch nötig ist, daß gewaltsam reagiert wird von Einzelnen oder Gruppen oder, was weiß ich, vom Volk." |
Barbara Sichtermann Witwe von Peter Brückner |
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Brückner: "Was mir die Sache eingebracht hat war neben meiner Suspendierung, also meiner vorläufigen Suspendierung von den Rechten und Pflichten eines Hochschullehrers, was mir die Aussage von Herrn Ruhland eingebracht hat war, außer dieser Suspendierung, eine Flut von anonymen Briefen Drohungen und so weiter, ich war zu meinem Erstaunen das zweite Mal in meinem Leben gezwungen für kurze Zeit ins Exil zu gehen, mich also unsichtbar zu machen, und es hat mir eine publicity durchaus zwiespältigen Charakters eingebracht. Ich bin halt für die einen zum Helden, für die andern zum Verbrecher geworden und ich bin eben doch weder Held noch Verbrecher, ich bin ein bürgerlicher Intellektueller, der sich, wie wir früher gesagt hätten, entschlossen hat, sich auf die Seite der Arbeiterbewegung zu stellen, ich würde heute sagen, der sich entschlossen hat, sich auf die Seite der historisch emanzipativen Kräfte zu stellen." | |||||
Theweleit: "Aus diesem Dilemma heraus war die Vernichtung der RAF auch eine
Erlösung für dieses ganze Sympathisantenfeld, sie konnten aufatmen, weil dieser
dauernde moralische Druck auf ihnen, sie tun nicht richtig was, das konnten sie
ablegen und dann konnten sie ruhig in die Grünen überfließen, was dann sehr viele von
ihnen auch gemacht haben. Ihr wirkliches pazifistisches Grünsein dann konnten sie erst formulieren nach Vernichtung der RAF, weil diese Koppelung, die Drohung dieser Koppelung weg war. Insofern war ihnen, nachdem dann Stammheim passiert war, waren sie ganz zufrieden. Und das war der Aufbruch in den neuen Ökostaat. |
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